ARTISTE

Heike Müller

CAMPO DI ATTIVITÀ

  • La fotografia
  • Pittura
Unterer Batterieweg 66
4053 Basel
heike.mueller@gmx.ch
www.heikemueller.ch

Premi, premi, borse di studio, borse di lavoro, acquisti pubblici

2017 Esther Matossi Stiftung
2000 Atelier Cité des Arts, Paris, Atelierstipendium BL

Galerievertretungen

D Galerie Kunst2, https://www.kunst2.de, seit 2013
USA Leslie Curran Gallery, Articles Gallery, https://www.articlesstpete.com, seit 2015
CH Galerie Mäder, Basel, 2011 - 2016

Ankäufe_Preise_Stipendien

2021 Ankauf Sammlung Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen
2017 Förderbeitrag Esther Matossi Stiftung
2016 Ankauf Sammlung Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen
2015 Ankauf Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
2000 Atelierstipendium Cité des Arts, Paris, Kanton Basellandschaft

Einzelausstellungen_2022.5.2

2022 Leslie Curran Gallery, Articles St.Petersburg, St. Petersburg, Florida
2021 Galerie Kunst2, Heidelberg, „Zugefallenes“
2021 Bernerhaus, Kunstverein Frauenfeld, „Rückenwind“
2021 UPK Basel, Privatklinik Haus B
2021 Ausstellungsraum SGBK, Basel, „und andere Geschichten“
2020 Widmer Theodoridis, Eschlikon, „the Beauty and the Beast“
2019 Galerie Kunst2, Heidelberg, „Vom Fliegen“
2018 Leslie Curran Gallery, St.Petersburg, Florida, USA, „passionate“
2017 Galerie Kunst2, Heidelberg, „umbenannt“
2016 Leslie Curran Gallery, St.Petersburg, Florida,USA, „Albums“
2015 UPK Basel
2015 Galerie Kunst2, Heidelberg, D, „past perfect“
2014 Galerie Mäder, Basel, ‚scottish orange‘
2013 Galerie Kunst2, Heidelberg, D ‚ „Gefundene Bilder“
2013 Galerie Stefan Rutishauser, Frauenfeld, „Ditpychon und andere Paare“
2013 Art Karlsruhe, One Artist Show, Galerie Mäder
2011 Galerie Mäder, Basel
2010 Galerie Janus Avivson, London, GB
2008 Galerie Stefan Rutishauser; Frauenfeld, „sweet 60‘s“;
2001 Liste 01, Kaskadenkondensator, Basel

Gruppenausstellungen_2022.5.2

2022 "Giraffenhochzeit", ein 'Geiler Block' von Leila Bock, St.Gallen
2022 „Fresh Legs“, Inselgalerie Berlin
2022 Art Karlsruhe, Galerie Kunst2, Heidelberg
2022 „120 Jahre SGBK“, Galerie Carzaniga, Basel
2022 Neue Kollektion- Kunst hier und jetzt, Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen
2021 „Frauen im Bundeshaus“, SGBK, Bundeshaus Bern
2021 Martin Meier, Heike Müller, Atelier Mehrblick Basel
2020 Pinsel, Pixel und Pailetten - Neue Malerei, Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen
2020 Leila Bock, Geiler Block, Arbon
2020 Art Karlsruhe, Kunst2, Heidelberg
2019 Positions Art Fair, Berlin, Kunst2 Heidelberg
2019 Art Karlsruhe, Kunst2, Heidelberg
2018 Positions Art Fair, Berlin, Kunst2 Heidelberg
2018 Neue Kollektion, die Sammlung wächst, Kunstmuseum des Kantons Thurgau
2018 Art Karlsruhe, Kunst2, Heidelberg
2017 Positions Art Fair, Berlin, Kunst2 Heidelberg
2017 Art Karlsruhe, Kunst2, Heidelberg
2016 Werkschau Thurgau, Galerie Adrian Bleisch, Arbon
2016 Künstler der Galerie Kunst2, Heidelberg
2016 + 2015 Art Karlsruhe, Galerie Mäder und Kunst2, Heidelberg
2014 „Lichtblicke“, SGBK, Liestal
2014 Art Karlsruhe, Galerie Mäder und Kunst2, Heidelberg
2013 Widmer + Theodoridis contemporary, Zürich; „Eingriffe: Konstruktion/Destruktion“
2012 Art Karlsruhe, Galerie Mäder
2011 Galerie ArchivArte Bern „trouvailles“;
2010 Galerie M. Ziegelmüller, Vinelz. „Frauen und figurative Malerei“
2008 „le salon 08“, Mitgliederausstellung Visarte Basel, M54, Kunsthalle Basel, „Regionale9“
2006 fabrique culture, Hegenheim, „Regionale7“, Künstlerhaus Schmiedengasse, Solothurn, „Geburt“
2005 Dampfzentrale Bern, „Kesseltreiben“, SGBK
2004 Ausstellungsraum M54, „Kleinformate“, visarte Basel
2003 Kunsthaus Langenthal, „Loch statt Linse“, aktuelle Schweizer Lochkamerafotografie

Vita

1970 geboren in Winterthur
1990 Matur in Frauenfeld, Vorkurs in Basel
1991 Fachklasse Lehramt für bildende Kunst, Basel
1993 Malfachklasse an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam
1998 Aufnahme in die visarte
2000 Stipendium des Kantons Basel-Landschaft; Cité des Arts, Paris
2001 Aufnahme in die SGBK
2015 Sabbatical in St. Petersburg, Florida, USA
2020 Sabbatical in Den Haag, Niederlande
Lebt mit ihrem Mann und den drei Söhnen in Basel

Rückenwind_Text Stefanie Hoch, Kuratorin Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen

Heike Müller «Rückenwind»
Von Stefanie Hoch
Die Ausstellung «Rückenwind» umfasst die neuesten Werke von Heike Müller, die meisten sind in den
letzten drei Jahren entstanden. Prägend waren die sieben Wochen, die Heike Müller 2020 in Den Haag
verbracht hat. Es war auch eine Reise in die Vergangenheit, denn 1993 hatte sie in Amsterdam Malerei
studiert.
Letztes Jahr in Den Haag begann sie zunächst mit kleinen Tagebuchskizzen», wie sie sie nennt, den
anderen Alltag einzufangen: Interieurs und Strassen, Uferszenen, Menschen, gern Männer, noch lieber
Surfer. Mit Bleistift und weissem Stift erscheint die Welt auf glühendem Orange, auf dem sie die
Wirklichkeit aus dem Papier höht. Stadt am Wasser. Stadt und Meer.
Es sind orangene Papierreste, die sie nach Holland mitgenommen hatte. Dieses für sie so typische
Orange – doch zuerst zum Weiss: In den Zeichnungen gipfelt der Alltag im Weiss der beiläufigen Details,
fein schraffiert die Schaumkronen, die T-Shirts und auch die nassen Rücken. Gegenüber auf der Wand
erheben sich auf grossen Gemälden die Bergrücken der Alpen, hier ist der Schnee weiss, Nebel und
Wolken. Aber auch die Blüten auf einer Alm, die als Striche das Postkartenmotiv übersäen. Das Weiss
verselbständigt sich, wenn Wolkenfetzen die Landschaft zudecken, die Bilder mit grosser Dynamik
einnehmen, sie verfremden. Verfremdet wird die Landschaft auch durch andere „Störfaktoren“:
Reflexionen der Zugfenster, aus denen heraus Heike Müller die Landschaft fotografiert hat. Fotografien –
wie so oft beginnt ihre Malerei mit solchen.
Gleich hier im ersten Raum stehen sich die beiden grossen Gruppen im Werk von Heike Müller
gegenüber: zum einen findet sie ihre Inspiration in alten Fotografien, Postkarten, eigenen Aufnahmen,
aber auch Skizzen und Gemälden anderer Künstler, Bilder aus Alben vom Flohmarkt und dem Internet
sowie Filmbilder – sie sucht ganz bestimmte Momente einer kollektiven Bildgeschichte, um sie zum
Ausgangspunkt malerischer Strandwanderungen, Familienaufstellungen oder anderer Beobachtungen
zu nehmen.
Die andere grosse Gruppe bilden in den letzten Jahren Gemälde, die sie aus der direkten Anschauung
malt: das echte Leben, aus Fleisch und Blut, unmittelbar eingefangen, das ist neu und begegnet uns in
der Ausstellung in zwei Serien – den Tagebuchskizzen aus Den Haag und den Männerportraits, die im
Kabinett versammelt sind: grössere Gemälde, die sie in meist dreistündigen Sitzungen malt.
Malen unter Endorphin
Was sich so einfach darstellt, ist tatsächlich noch immer ungewöhnlich: Frauen, die explizit Männer malen
– keine Verwandten, keine Adeligen oder Politiker, einfach gut aussehende Männer. Jahrhundertelang
malten Maler Frauen, als Muse stand die vorzugsweise junge Frau symbolisch für die Inspiration. Frauen
sollten nicht malen, sie wurden gemalt. Und als Frauen im 19. Jahrhundert endlich Zugang zu den
Akademien hatten, war man der Überzeugung, dass man ihnen in den Aktzeichenkursen auf keinen Fall
nackte Männer zumuten könne. Noch 1985 stellten die Guerilla Girls fest, dass im Metropolitan Museum
in New York weniger als 5% der Werke von Künstlerinnen stammen, aber 85% der nackten Gemalten
Frauen sind.
Heike Müller «gendert» endlich die Malereigeschichte. Sie unternimmt den Versuch, die
Entstehungsweise und die Wirkung von Männerportraits, die explizit von einer Frau gemalt wurden, zu
überprüfen. Ihr Auswahlkriterium ist die Attraktivität, um konsequent, in Serie, quasi analytisch, Männer
für sich selbst als Musen zu «verwenden» und darzustellen. Was dabei letztlich zählt, ist die Umkehrung
der Norm und sich selbst als Malerin den Moment zu gönnen: Malen unter Dopamin und Serotonin.
Neugier, ob es gelingt, die Faszination auf die Leinwand zu übertragen, während Endorphine durch die
Fingerkuppen rauschen.
Sie erzählt aber auch vom Druck: Innerhalb von drei Stunden soll etwas gelingen, das mehr ist als ein Pinup.
Publikumsfrage: Verspüren malende Männer diesen Druck gleichermassen? Was Malerinnen und
Maler verbindet: die Frage, wie die Schönheit auf die Leinwand kommt. Doch zurück zu den Bergrücken.

Flüchtige Glücksmomente
Alpen und Meer fassen die Ausstellung ein: In Raum 1 sind die Berge menschenleer, im entferntesten
Raum die Nordsee. Dort Seestücke mit Wellen, die sich am Strand brechen. Die Wolken erinnern
eindeutig an den barocken Niederländer Jacob von Ruisdael. Hier hat die Malerin selbst ihre Vorlagen
fotografiert – auch sie surft gern, durch die Bildgeschichte. Sie greift in den Fundus vorhandener Bilder,
um sie auf die Leinwand zu überführen. Und auch, um sie auf der Leinwand zu überführen, sie zu
entlarven, sie durch Umkehrung der medialen Vorzeichen auf ihre Wirkweise hin zu befragen, uns in
unserer Wahrnehmung und unseren Sehnsüchten, mit denen wir Bilder machen und anschauen, zu
hinterfragen.
Viele ihrer Bildvorlagen zeigen Orte der Leichtigkeit, der Lebensfreude. Menschen am Strand und in
Blumenwiesen. Die Malerei schwelgt in Blüten und der Darstellung der Gischt, in der Widerspiegelung
der Farben in den Fluten. Egal ob Fotoalbum oder Bild aus dem Internet – weil den fotografischen
Vorlagen das Momenthafte innewohnt, atmet auch nun die Malerei jene Spontanität, das Glück des
flüchtigen Augenblicks. Und das Wissen darum, dass diese Menschen längst Geschichte sind, verstärkt
die Vorstellung der Vergänglichkeit.
Manche Wolkenflecken erinnern an Ferdinand Hodler, Blumentupfer an Cuno Amiet, orange-hellblaue
Himmel an Adolf Dietrich oder Max Ernst, die weissen Wasser an japanische Tuschzeichnungen, Mangas
oder Computeranimationen.
Heike Müller verallgemeinert bestimmte Bildelemente durch breite Pinselstriche, sie anonymisiert
Gesichter, wodurch wir uns mit den Dargestellten identifizieren können und die Familienkonstellationen
zu unseren eigenen werden – oder die Frau am Strand zu unserer Wunsch-Frau oder unserem Wunsch-Ich.
Wie jene Zeichnung vom Flohmarkt, ein Akt einer liegenden Frau. Die alte Zeichnung von Theo
Berendonk liess alles offen, nur Umrisse hatte er auf das Blatt geworfen. Ob die Frau sich wie Edouart
Manets Olympia auf einem Bett ausstreckte oder draussen wie bei seinem Frühstück im Grünen? Deshalb
begegnet uns Heike Müllers Frau nun einmal auf einer rotgestreiften Matratze, einmal am Strand, die
überschlagenen Füsse viel roher dargestellt als jene von Manets Dame, beinahe holzschnittartig wie die
der Brücke-Expressionisten.
Risse in der Idylle
Doch dann sind da diese Steine am Strand, die vom Orange hinterleuchtet plötzlich beinahe
psychedelisch aufblitzen und uns in die Jetztzeit holen. Und darin liegt die spezifische Qualität der Bilder
von Heike Müller: Ihr Rückgriff auf Bildvorlagen löst Erinnerungen, nostalgische Gefühle, Sehnsucht in
uns aus. Zugleich verfremdet sie Elemente und überführt sie durch die beiläufig wirkende, doch höchst
subtile Malweise in die Gegenwart, wo sie sich in unserer Phantasie verselbständigen. Nicht nur das
Orange, auch die Schatten, lang wie aus den unendlichen Nachmittagen der Edward Hopper-Gemälde,
nur weniger realistisch, vielmehr mit beunruhigendem Eigenleben. Hier taucht etwas Fremdes auf: Den
Berghütten in den Alpen fehlt alles Liebliche, im Gegenteil, sie wirken verschwiegen und abweisend,
aber in dieser Ambivalenz ehrlicher als all die Postkartenansichten.
Die Idyllen auf der Wiese oder am Strand sind nicht nur flüchtige Paradiese der Vergangenheit, sie sind
vielleicht nie so idyllisch gewesen, wie wir es uns wünschen. Das Paar auf der Blumenwiese, so
romantisch es in Blüten versinkt, so unbehaglich wirkt der etwas zu korrekte Haarschnitt des Mannes, der
die 1930er-Jahre als Entstehungszeitraum der Vorlage vermuten lässt. Dann wirkt das Orange plötzlich
auch aggressiv. Zugleich rückt es uns die Menschen nahe. Ihre Welt war nicht schwarzweiss, sie war
genauso farbig wie unsere.
Immer wieder dieses Orange, das die Bilder durchglüht. Es ist eine Grundierung aus Acryl, weil dieses
Orange gar nicht als Ölfarbe existiert. Darüber dann Öl, durch das der Grund hindurchscheint, oft sind
die Kanten orange, was den Bildern auf weissen Wänden eine Art Aura verleiht.
Das Orange glimmt vor Energie, surrt wie ein inneres Leuchten, wie eine Kernschmelze, die beständig im
Innern dieser Bilder von Statten geht, nur weniger gefährlich. Aber doch auch ein bisschen – es ist kein
harmloses Sonnenorange, vielmehr ein neonartiges Signalorange, das auch für Gefahr steht. Es holt die
nostalgischen Motive aus dem gedämpften Sepiabraun der Vergangenheitsverklärung.

Von weit her ein Leuchten
So tauchen uns die Gemälde von Heike Müller in ein Wechselbad aus Nähe und Distanz. Zeitliche Distanz
und Verfremdung durch die forsche Malweise bei gleichzeitiger emotionaler Wärme und Nähe.
Gelegentlich übermalt Heike Müller auch alte, gefundene Bilder. Nicht um zu zerstören, sondern um sie
zu erweitern, sie in eine irritierende Zwischenwelt zu überführen. Sie bewegt sich mit ihrer Arbeit
fliessend durch die Foto- und Malereigeschichte, macht sie durchlässig. Die Eigenschaften des einen
Mediums bringen im anderen plötzlich neue Aspekte zum Vorschein. So kann der eine, faszinierende
Moment einer Fotografie, was Roland Barthes «punctum» nennt, in den Gemälden zum «memento mori»
werden, das Populäre einer Postkarte zum ganz intimen Moment, das persönliche Fotoalbum zum
Symptom des kollektiven Bildgedächtnisses.
Die Intention der Fotografie – zu erinnern, festzuhalten – wird in Heike Müllers Malerei zum Sprungbrett
der Imagination. Hier zeigt die altmodische Malerei was sie im Gegensatz zu all den neuen Bildtechniken
vermag: auf dem Fundament unseres Bildgedächtnisses die Fiktion zu beflügeln. Heike Müller beherrscht
diese Medienwechsel mit traumwandlerischer Sicherheit. Ihre Bilder sind voll magischer Momente und
Gestalten, gesichtslos aber lange Schatten werfend, fremd und doch allzu bekannt, beunruhigend
vertraute Wiedergänger der Bildgeschichte.
6. November 2021

Ausstellungstext_2018_Stefanie Hoch, Kuratorin Kunstmuseum Thurgau

Porträts und Landschaften bilden als traditionelle kunsthistorische Genres
den Beginn der Ausstellung.
Seit Langem sind für Heike Müller alte Postkarten, frühe Fotografien und
gefundene Bilder Ausgangspunkte ihrer Malerei. Das Farb- und Formspektrum
nostalgischer Bildwelten überführt sie mit subtilen Eingriffen,
sensiblen Verfremdungen, aber auch forschen Pinselstrichen und leuchtenden
Farben in die Jetztzeit. Ihre Neuinterpretationen von Figurenkonstellationen
und Landschaftssujets wirken wie traumwandlerische Einblicke
in eine verschwundene, verwunschene Vergangenheit.
In ihrer aktuellen Werkgruppe kehrt Heike Müller traditionelle
Geschlechterrollen um: Sie porträtiert Männer, wobei sie sich kaum für
eine repräsentative Darstellung interessiert, sondern vielmehr für den
Sex-Appeal ihrer männlichen Musen.

Katalogtext_2018

New Men

Während so mancher Jahre vollzieht Heike Müller den Transfer vom Bild zum Bild; auf Flohmärkten erstöberte Schwarzweissfotografien fungieren als Inspirationsquelle, auf deren Basis sie leuchtende Farbbilder schafft und Vergangenes erneut greifbar macht. Ein derartiger Flohmarktfund ist es denn auch, der sie eine gänzlich neue Richtung einschlagen lässt; ein altes Fotoalbum fällt ihr in die Hände, Zeugnis einer im selben Masse intimen wie intensiven Männerfreundschaft. Einer jener Männer nun setzt sich nachhaltig in Müllers Gedanken fest, die entsprechende Fotografie zeigt ihn als Wanderer, welcher nach dessen Bezwingen auf eines Berges Spitze rastet, das weisse Hemd locker geöffnet.
Das Bild bleibt, der Wunsch eines unumwundeneren Prozesses drängt sich auf: Müller beginnt, ab Modell zu malen, weisses Hemd, lebendige Männer. Das Verhältnis zwischen Künstlerin und Modell gewinnt bald an Eindringlichkeit, jener durch das Album dokumentierten Beziehung ähnlich. Mit einem Male gilt es, atmende, vom Lichtspiel in Farbe gezeichnete Körper und Gesichter zu fassen; der Rahmen, innerhalb dessen das Malen stattfinden kann, erfährt eine strenge zeitliche Konturierung, welche Müller fordert, wie beflügelt. Trotz dessen steter Kühnheit verfehlt ihr entschlossener Duktus nicht, exakt dies einzufangen, was das Modell gegenüber der flachen Vorlage auszeichnet; den Ausdruck eines Gesichts, teils nur flüchtig vorüberhuschend, einen gewissen Zug, welchen Worte kaum je zu fassen vermögen. Weder aufdringlich noch unentschieden schmiegen sich Pinselspuren aneinander zu stimmiger Einheit. Entstanden ist eine sinnlich rohe Serie, bestimmt von verträumten Blicken, vom schelmischen Zucken eines Mundwinkels und, natürlich, vom sanft fliessenden Textil, das verbirgt wie entblösst und so das Betrachterauge sachte leitet.
Keineswegs meint indes das Erschliessen neuer Verfahrensweisen etwa die Aufgabe früher Ansätze. Parallel zur Arbeit ab Modell betreibt Müller nach wie vor den virtuos beherrschten Übertrag der schwarzweissen Fotografie hin zum farbig bemalten Blatt. Auf solchen knistert die Hitze, gleissend hell wenngleich nie blendend tränkt die Sommersonne Strandgeschehen, doch ist der kühle Luftzug bereits in bläulichem Farbschimmer mitgedacht. Ihrerseits durch Inspiration behaucht, löst Müller die Schnappschüsse aus deren Starre, flösst dort, wo solches eingefangen, Leben ein.
Als Scharnier vermittelt zwischen der Übersetzung ins Bild von entweder Modell oder Fotografie der Kompromiss des fotografierten Modells. Dieser verwischt klar gezogene zeitliche Grenzen, ermöglicht aber unter feinem Nachwirken der Sitzungserinnerungen dem Schritt von der Vorlage zum Werk dennoch dringendste Unmittelbarkeit. Hier werden Nähe und Intimität des Atelierhintergrunds durch maritime Szenerie ersetzt, wobei Müller durch obig genannte Arbeiten auf reichhaltigsten Fundus zurückzugreifen imstande ist. Mittig gliedert der Horizont und scheidet Himmel von Erde, just da, wo der Bund freigibt, was des Wanderers weisses Hemd einst umhüllte.
Thomas Studer